Triangel-Solo

Jetzt ist Herbst. Mein Tee-Konsum ist rapide gestiegen. Earl Grey „Lady Grey“ mit Orangenschalen. Philosophen-Grüntee. „Beduinenschreck“ – entkofeeinierte Nana-Minze. Hätte ich den Tee nicht bei meinem Lieblingsteeladen um die Ecke gekauft, würde ich vielleicht einen kleinen aufgeregten Gedanken darauf verschwenden, dass heute alles irgendwie abgefahren heißen muss, damit es sich verkauft. Aber das ist Bullshit. Den Teeladen gibt es da seit weißichnichtwielang und die Tees hießen immer schon so. Außerdem werde ich nicht auf den Aldi-Zug aufspringen und ein Loblied auf die Einfachheit singen. Lülülü, Finger in die Ohren, will ich gar nicht hören. Auswahl ist was Gutes. Gleichmachung ist scheiße. Singularitär ist Einfachheit im Kopf. Das ist pauschal und einfach. Subjekt-Prädikat-Objekt. Einfache Sätze versteht jeder. Dafür bin ich ja auch zu haben. Verständlichkeit und Einfachheit, das ist wie Turnschuhe und Pantoffeln. Beides irgendwie bequem, aber doch zwei Paar Schuhe.

Ich habe mich verheddert. Eigentlich wollte ich beim kleinen aufgeregten Gedanken bleiben. Gerade habe ich ein bisschen Zeit. Ein bisschen Semesterferien sind noch da, alle Hausarbeiten sind geschrieben, ich mache Hausarbeit. Aufräumen, putzen – ich habe ernsthaft über einen Fensterputz nachgedacht. Dann habe ich gekichert, in den schlierenfreien Badezimmerspiegel geguckt und gedacht: „Echt jetzt? Fensterputzen?“
Das ist keine besonders spannende Geschichte. Es gibt auch keine Pointe. Die Fenster sind dreckig gelieben.

Es ist gerade alles ganz schön unaufgeregt hier. Hin und wieder wirble ich Staub auf, rüttle ihn wach und verjage ihn. Sogar meine Buchrücken habe ich abgewischt. Meine alten Tagebücher sind mir in die Hände gefallen. Das ist Quatsch. Die fallen nicht. Die stehen auf dem obersten Regalbrett, kriegen den meisten Staub ab, weil darüber nur Luft nach oben ist. Aber ich habe sie alle nochmal in die Hand genommen. Mir war immer wichtig, dass sich das gut anfühlt, worein ich schreibe. Am schönsten sind die Tagebücher, die an den Ecken abgegrabbelt sind, wo ein bisschen Sand rausrieselt oder die nach Regionalexpress riechen.  Manchmal stelle ich mir vor, wie sich die ganzen Versionen von mir zum Kaffeeklatsch treffen und sich was aus dem Nähkästchen erzählen. Die Zwölfjährige ist total verdreht und genervt. Die Vierzehnjährige macht unfassbar unlustige Kommentare und meint jeden Satz ironisch. Die Achtzehnjährige ist ziemlich aufgeregt und will von der Welt umarmt werden. Die Zwanzigjährige hat die Welt umarmt.

Mir ist schon klar, dass ich viel zu jung bin für solche Sentimentalitäten. Wie lange hat man „das Leben“ noch vor sich? Das Leben. Was das überhaupt wieder sein soll. So viel mehr als das Gegenteil von Tod. Definitionen helfen nicht weiter. Das Leben mit Inhalt füllen? Weiß nicht. Bei einer Radtour durch Mecklenburg habe ich die Wahlplakate der CDU ziemlich ausgelacht. Da lachte einen die bunte Melange der regionalen CDUler an und darunter der Slogan „Mehr Inhalt!“. Inhalt an sich ist es wohl auch nicht, was aus Leben Leben macht.
Ich kann so viel aufzählen, was Leben nicht ist. Oder was darin nicht wichtig ist. Oder zumindest nicht für mich. Aber hä? Zum Donnergrummel. Es muss doch was geben, was für alle Menschen „das Leben“ ist. Tädä- erwischt. Ich wünsche mir Einfachheit. Zack, padauz, eine Antwort. Dabei ist es mir eine innere Zartbitterschokolade-ganze-Haselnuss, dass es viele Antworten gibt, wenn ich mal ehrlich bin.

pani-a-oktober

„Wirrer Gedanke, wirrer Satz“, sagst du und nippst an deinem Rotwein.
„Hä, na und? “
„Ich mein ja nur..“, dein linker Zeigefinger fährt an der Maserung des Esstischs entlang. Mit dem linken Zeigefinger, denke ich, ungewöhnlich, für einen Rechtshänder, „…Ich mein, zuerst bist du so voll für Vielfalt und Auswahl und auf einmal willst du exakt eine Antwort auf das Leben. Und über haupt. Tee und Hausputz und große Fragen, das passt doch alles nicht zusammen. Dann auch noch dieses Unterbrechen der wörtlichen Rede mit der Zeigefinger-Nummer, was soll das denn bringen, hm?““Ha! Buuuh!“, mit Schwung ergreife ich dein Weinglas wie einen Pokal und gieße dir den Inhalt über den Kopf. Denn du bist langweilig und brauchst Erfrischung im Kopf und nicht Einlullerei und Einfalt. Einfälle brauchst du und Anstoß. Abstoßen von Eingefahrenem.
„Du bist ein Triangel-Solíst!“, rufe ich in Ätschi-Kolätschi-Singsang, „Du kannst nur einen Ton und mit mehr wärst du wohl überfordert, hm? Du hast drei Ecken, wie mein Hut, aber du benutzt immer nur eine Seite. Aus Gewohnheit? Aaach, du bist öde. Fad!“
„Deine Metaphern sind dermaßen überzogen!“
„Ja. Mit Schokolade!“
„Komm ey, ist spät. Und mir klebt überall Wein im Gesicht. Danke dafür“, jetzt guckst du wirklich angepisst. Hupsi. Ich verstehe schon. Nächstes Mal gibt es wieder Tee. Für dich Kamille. Ich nehme „Karl Heinz – der Herbsttee“.

Der Boomerang

Was ist los?“, fragst du, worauf ich wieder keine Antwort weiß. Es ist nicht so, dass ich dir irgendwas verheimlichen wollen würde. Ich weiß es wirklich nicht. Es ist doch immer irgendwas los. Guck dich doch um. Aber das macht müde, dieses Umgucken. Und andererseits macht es unfassbar wach, wenn wir zulassen, was wir sehen.

Wenn ich jetzt darüber nachdenke, will ich lossprudeln und dir alles erzählen. Es braust in meiner Brust auf. Ich denke, das ist ein Gefühl. Was Gutes, was verdammt Gutes, aber wenn ich die Worte dafür finden soll, ist das nicht genug. Ich bin voller schöner Bilder. Die sind los und lassen mich nicht los.

Pani A Juli 1Heute hat es viel geregnet. Zwischendurch schien die Sonne heiß durch die Straßen. Auf einem kleinen Mäuerchen sitzt eine Frau mit geschlossenen Augen. Sie sieht ernst aus, aber auch glücklich. In ihrer Hand hält sie ein Eishörnchen. Das schmelzende Eis läuft ihre Hand herab. Irgendetwas an diesem Bild macht mich sehr traurig und dann wieder froh. Wahrscheinlich sind das diese geschlossenen Lider, diese Genießende, die sich um nichts kümmert als darum, dass endlich einmal die Sonne scheint. Währenddessen zerrinnt ihr Eis. Das, was sie sich gönnen wollte, zerfließt. Die Genüsse kollidieren.

Ich denke an eine Frau, die ich heute gesehen habe. Ich weiß nicht, warum sie mir jetzt wieder einfällt. Es war eigentlich nichts Besonderes.“ –

Und doch erinnerst du dich an sie. Was war mit ihr?“

Nichts. Es war nichts mit ihr. Sie saß in der Sonne und ihr Eis ist geschmolzen. Das wars schon.“

Und dann hast du sie darauf aufmerksam gemacht?“

Wir haben nicht geredet. Ich habe sie mir angesehen, als würde sie im Museum hängen. So was macht man nicht, oder?“

Na ja, also… Du hast ihr nicht gesagt, dass ihr Eis abschmiert?“

Ich habe gar nichts gesagt, sagte ich doch. Meinst du, ich habe sie gestört? Ich stand einfach da und habe ihr zugesehen. Es ist bescheuert. Ich komme mir jetzt vor wie ein Eindringling.“

Hättest du sie mal gestört. Bestimmt hatte sie später überall Eisflecken.“

Als ich mit dem Fahrrad durch den Park fuhr, sah ich einen Jungen, wie er vor einer Taube saß. Im Schneidersitz hat er vor dem Vogel gesessen und ihm etwas gesagt. Es sah aus wie ein Diktat. So als sagte der Junge zur Taube, es wäre nun angemessen, das ständige Herumscheißen zu unterlassen und sich wie ein manierlicher Vogel zu benehmen. Das solle sie sich merken, die Taube.

Du denkst doch wieder irgendwas.“

Natürlich denke ich. Kannst du das etwa abschalten?“

Manchmal wünsche ich mir das. Leider ist das unmöglich. Manche Menschen können das sicherlich. Wenn ich mir diese Stadt so angucke, vermute ich, in der Abteilung Stadtplanung arbeiten da so manche Blitzbirnen mit dieser herrlichen Eigenschaft…“

Mmmh. Furchtbare Radwege. Du hast recht. Meinst du, dass es irgendwelche Tiere gibt, die verstehen, was wir zu ihnen sagen?“

Wie kommst du denn jetzt darauf?“

Das war mein Gedanke von eben.“

Interessant. Ich glaube, eher nicht.“

Meinst du, wenn Kinder mit ihnen reden, ist die Chance größer?“

Das… hm. Wie kommst du drauf?“

Ach. Sie machen zumindest den Eindruck, als gäben sie sich mehr Mühe verständlich zu sein. Erwachsene mühen sie eher für das Gegenteil ab. Findest du nicht?“

Manchmal gucke ich mich um. Doch, doch. Aber ich verstehe wenig. Ich habe Fragen an das, was ich sehe. Die meisten Fragen sind aber eher ein Boomerang und fliegen zurück an mich. Manchmal frage ich mich, warum ich mich das frage und mich nicht für die Klausur in 15 Tagen vorbereite. Die Deadlinejunkies unter uns lachen über 15 Tage. Was wieder einige Fragen aufwirft.

Es ist nichts passiert, aber davon viel.

Es ist Donnerstag. Das ist mein voller Unitag. Ich schreibe aus einem SWD-Hauptseminar. SWD steht für Sprachwissenschaft. In Köln bedeutet das: Wenig Sprache, viel Wissenschaft. Um nicht zu sagen: Naturwissenschaft. Das ist gleichbedeutend mit: Ich muss mir wirklich heftig in den Allerwertesten treten, um nicht einzuschlafen. Ich mag es, wie Wörter klingen, wie man mit der Sprache basteln kann und wenn wir Memory und Puzzle damit spielen. Aber ich finde es eine Frechheit, Sprache auseinander zu rupfen und so zu tun, als wären Wörter mathematische Formeln, die kalkulierbar irgendwelche (chemischen? physikalischen?) Reaktionen im Gehirn hervorrufen. Bei mir rufen solche Unternehmungen meist Gähnen hervor, nichts weiter.
Da bin ich also. Ich gähne, gucke mir irgendwelche stummen Videos an und schreibe Tagebuch. Großartiger Lernerfolg. Nun. Dazu kommt furchtbarer Hunger. Sowohl meine liebevollst befüllte Butterbrotsdose und mein Portemonnaie mit Notgroschen für harte Hungerzeiten liegen zuhause. Wo habe ich meinen Kopf. Als wäre ich hier diejenige, die heute Abend so ein beklopptes EM-Spiel spielen müsste. Muss ich nicht, ich muss nur zugucken. Es kommen Leute, das ist nett. Jemand bringt einen Beamer mit. Wir haben eine hübsche weiße Wohnzimmerwand zum Gucken. Der Rest ist seit zwei Jahren nicht fertig gestrichen worden, aber diese Wand – nein, also die kann sich wirklich sehen lassen. Unsere Sofas stehen in einem guten Sichtwinkel. Es gibt Sekt zum anstoßen, Kölsch für währenddessen und Szarlotka zum Genießen. Szarlotka ist ein polnischer Apfelkuchen. Oder aber ein Getränk mit Apfelsaft und Bisongraswodka. Entscheide selbst. Wir verteilen die Nationalspieler. Ich habe Draxler. Wird er erwähnt, trinke ich. Bei Löw und Gomez trinken alle. Der wird öfter erwähnt als Neuer, dabei steht er bisher nicht mal auf dem Platz. Ist mir aber auch egal alles ziemlich. Menschen fragen, für welche Mannschaft ich bin. Ist mir auch egal. Nun. Langweiliges Spiel. Danach kommt Marc-Uwe Klings Lesebühne. Es geht um Ernährung. Wir kichern. N Sekt vielleicht? N ist die Anzahl der Sektgläser, die wir trinken. Die Nacht ruft. Die Straße, die Stadt. Hullahu, hier sind wir, rufe ich zurück. Ich ziehe mich kurz um. Das, was ich anhabe, ist lang: Ein abgefahrener Satin-Jumpsuit in Mintgrün mit Tropicalmuster. Darüber die treuePani A Juliste Feierjacke: Ein Hoodie in der Männergröße L von Aldi mit dem Aufdruck „1954“. Ich habe diese Jacke seit ich 12 bin. Sie kommt immer mit, weil ich denke, ist eh wurscht, wenn die geklaut wird. Offenbar ist sie so wurschtig, dass sie niemand klauen will. „Das Ganze führt mit dem Überstreifen directemente zu guter Laune – bei mir und bei anderen. Ich bin eine verdammte Knospe im Modeblumentopf!“, werde ich später in mein Tagebuch schreiben. Übermut lallt aus mir. Ungeschminkt bis auf eine dünne Schicht pflaumenfarbener Lippenstift von Catrice, der irgendwie nach der Bad-Taste-Party zu meinem 18. Geburtstag bei mir gelandet ist.
Da sind wir also. Noch stehen wir davor, gehen wir also rein. Eigentlich kann ich wirklich wenig mit Bumm-Tschack-Musik anfangen, aber mein Zustand weiß diese Tatsache zu ignorieren. Alle heben leicht ihren Oberkörper, wippen mit dem Kopf, viel mehr bewegt sich nicht. Meine Beine machen sternförmige Schrittfolgen, meine Arme boxen seitlich in die Luft. Eine dezente Tänzerin bin ich nicht.
Kiosk, Tyskie, Leute sprechen uns an. Ein Designer lobt mein Outfit. Er ist auch Philosoph, sagt er. Wie Karl Lagerfeld sieht er nicht aus. Mein Tipp: Er ist (Über-)Lebenskünstler mit verqueren Ansichten über Sexualität. Das tippe ich nicht, das beweist er. Das Gespräch ist aufgeheizt, aber auf die stickige Art. Also raus aus der Aggressivität. Gehen wir lieber zu jemandem, der aussieht, wie Marc-Uwe, aber eigentlich Komponist ist und kein Känguru bei sich aufgenommen hat sondern – ich weiß absolut nicht, was der Inhalt dieses Gesprächs ist. Das Komponieren, das Über-die-Runden-Kommen? Ach, ach. Gespräche mit Fremden führen so oft dazu, dass man weiß, was derjenige oder diejenige studiert oder arbeitet, aber man überhaupt keine Ahnung hat, was der andere denkt, worüber er oder sie sich Gedanken macht, warum bestimmte Entscheidungen so oder so gefällt wurden, der ganze Irrsinn. Raus aus der Gesprächssituation, wir lassen Revue passieren, wie der Abend bisher so gelaufen ist. Eigentlich ist heute noch nichts passiert, aber davon viel.

Existenzialisieren

Wir laufen am Strand entlang. Ich entdecke einen Fischkopf. „Guck mal“, zupfe ich an deiner Jacke. „Hm? Oh.“ Wir gucken den Fischkopf an. Er liegt ziemlich schön da. So silbrig-glänzend, dass man fast weinen möchte. Einfach, weil man sich keinen Schmuck daraus machen kann, der nicht nach fünf Minuten anfängt zu müffeln. Außerdem möchte ich weinen, weil der Fisch tot ist. Das ist eine große Albernheit, die mir hin und wieder widerfährt, wenn ich an Totem vorbeikomme. So oft passiert mir das aber auch gar nicht. Oder ich bekomme es zumindest nicht mit. Den Gedanken „In mir stribt gerade etwas“ denken sicherlich viele Menschen, ohne das ich je etwas davon mitbekäme. Selbst wenn ich in der Bibliothek direkt neben dem verzweifelten Menschen sitze. Oder sich in der Stopf-Bahn unsere Ellebogen berühren. Oder ich dir auf Englisch übersetze, dass du gerade im ICE zum Frankfurter Flughafen sitzt, dein Flieger aber in zwei Stunden ab Köln fliegt.
Sterben ist Alltag. Das klingt polemisch aus meinem westlichen Bilderbuch-Mund. Ich habe mich jetzt ein Semester mit Sterben, Tod, Totsein, Sterblichkeit und dem Sinn des Lebens abgegeben. Ich empfinde mich als enorm privelegiert. Gerade lebe ich, atme Leben aus und ein, laufe durch die Gegend und schlampamse vor mich hin. In der Bildungsanstalt, die ich besuche, um später mit meinem Abschluss winken zu können, ein amerikanisch-glückliches Doktorhütchen in die Luft werfen zu können und dann ein bisschen gutes Geld zu verdienen, darf ich mich mit dem Tod beschäftigen. Ich darf.
Die Welt schreit Tod und Verderben, Millionen Menschen machen sich auf, dem zu entfliehen oder hinein zu fliehen und ich sitze im Raum am Ende des Flurs am Fenster und suche Prämissen und Konklusionen, Thesen und Antithesen, die verschiedene Theorien von Tod und dem Sinn des Lebens im Kern ausdrücken. Der mit dem Schlafzimmerblick fragt, ob ich das Fenster aufmachen könnte. „Punks not dead“, sagt sein T-Shirt. Ich schmunzele in mich hinein. „Dein Shirt“, murmele ich total eloquent. „Das Fenster.“, antwortet er. Als der Dozent kommt, reden wir darüber, ob das Leben eines Pianisten sinnvoller ist, als das eines Typen, der sein ganzes Leben damit verbringt, seine Exkremete zu essen. Danach geht es noch um den Sinn von Hitlers Leben und ich bin dankbar, dass ich ein Fach studiere, in dem mit Hitler mal nicht alle Diskussionen beendet sind und es nicht verpönt und nazifaschistenscheiße ist, darüber nachzudenken, nach welchen Kriterien Hitler ein sinnvolles Leben gehabt hat. Die Kunst ist Sachlichkeit. Ich dachte mal, Sachlichkeit wäre Selbstverständlichkeit, aber dann kam die Kommentarfunktion von Facebook und zeigte ihren braunen Stinkefinger. Mief.
Ich muss wieder an den Fisch denken. Wie wir da so am Strand standen und die kleinen grauen Wellen um unsere Gummistiefel brachen. Du hieltest Vorträge, wie du das so machst. Wir überlegten, was den Fisch getötet haben könnte. Später musste ich noch ein bisschen weinen. Ich hatte Sand in die Augen bekommen. Aber das Weinen gilt nicht so wie das, was einen bei Totem überkommt. Ich habe eigentlich überhaupt keine Ahnung von Tod. Auch wenn ich schon ziemlich viel Totes gegessen habe und jetzt zig Theorien kenne über Tod und das, was uns davon abhält uns in den Tod zu stürzen. Manchmal fühle ich mich so sandig gegenüber all diesen riesigen Gedanken. Mein Sandkopf kann dann überhaupt keine eigene epische Idee zu meinem eigenen kleinen Sinn des Lebens denken. Wann gilt der überhaupt? In der siebten Klasse bestand mein Sinn des Lebens vielleicht darin, dass der eine Typ in meiner Klasse wenigstens einmal zu mir rüber geguckt hat. Bis ich mir dann eingestehen konnte, dass der Blick eigentlich meiner Freundin galt. Es hat ein bisschen gedauert, dann war dieser Sinn abgeschafft. Nächster. Das war dann vielleicht ein Stück auf diesem Mädcheninstrument so spielen, dass es klingt, schön klingt und Leute sagen, dass es schön klingt. Auch das hat funktioniert. War mein ganzes Leben dann erfüllt? Abgefüllt mit Sinn? Hacksinndicht? Nö. Ich sag nö. Und Eierplätzchen in Kaffee tunken, auch wenn ich das jeden Tag tät, es gäbe mir nicht den Sinn. Und am Eierplätzchen mit einem Kaffee sitzen und Hunde zählen, das macht das Leben auch nicht voll mit Sinn und wenn dir die Sonne ins Gesicht scheint. Ich glaub, fürs erste brauche ich keine epische Antwort auf die Sinnfrage. Das Ganze lebt sich so auch ganz gut. Es gibt immer noch so was wie die Schönheit des Fischkopf. Wen juckt die Eleganz des Igels, wenn sie die Schönheit des Fischkopfs haben kann.

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Tagein #1

Ich nenne ihn Klaus. Einfach, weil er da sitzt, vor meinem Haus. Jeden Tag. Manchmal mit seiner Pfeife, meistens mit seiner Flasche. Der Tag wird selten gut, sollte Klaus einmal doch nicht dort sitzen.
Oft bin ich die erste aus der WG, die das Haus verlässt. Klaus ist dann der erste und manchmal einzige, der mir einen Guten Morgen wünscht. Meistens wird es dann auch ein guter Morgen. Irgendwie ist es ja allein schon gut, wie sich Klaus‘ Gesicht zu einem Lächeln verzieht. Das ungeschulte Auge würde das nicht unbedingt als Lächeln und erst recht nicht als Freundlichkeit identifizieren.
Klaus sitzt genau da:

Klaushaus

Klaushaus

Direkt in den Hauseingang vom Salon de Jazz pflanzt er sich hin. Sein Gesicht ist von der Sonne, die da meistens hinfällt (plumps) ganz faltig, zerknittert und wie nach alter Technik gegerbt. Ich könnte behaupten, dass das in irgendeiner pathetischen Vanitas-Manier irgendwie schön aussieht, aber das wäre völlig romantisiert.

Einmal habe ich versucht, mit ihm zu reden. Also mehr als „Hallo“, oder „Guten Morgen!“.
Wir verstehen uns nicht auf der verbalen Ebene. Nicken funktioniert hervorragend.
Mittlerweile bin ich mir halbwegs sicher, dass er Professor für höhere Mathematik ist und sich vor dem harten Wissenschaftsalltag ein Pfeifchen und ein Bierchen in der Sonne gönnt und gönnen sollte, damit sein Gehirn nicht auseinanderknallt.
Sein Mathematikerdasein würde auch erklären, weshalb wir uns überhaupt nicht verstehen. Wir haben nichts gemeinsam. Außer eventuell, dass wir beide eine dicke Brille tragen, die uns nur bedingt vorteilhaft aussehen lässt. Aber das war’s.

Wobei.
Wir sind zur gleichen Zeit auf der Straße.
Seine Haut ist Leder. Meine Haut wird Leder sein, wenn die Sommer so bleiben.
Sein Tag beginnt mit einer Pfeife. Meiner mit Pfeifen.
Er macht Sachen, die keiner versteht (höhere Mathematik). Ich mach Sachen, die keiner blickt (eklige Sachen sammeln).

Himmeldonnerknispel, ich bin Klaus.

Weggedrückt

Der Druck muss weg. Deswegen drück ich ihn weg. So.
Ich hatte in meinem Kopf immer wieder dieses grollige Raunen, was meinte, wenn ich Sachen öffentlich mache, dann muss das was mit Wert sein. Interessant oder anstößig, furchtbar durchdacht oder unglaublich komisch. Das ist wahrscheinlich auch wünschenswert. Passt aber grade nicht so. Ich erlebe weder wahnsinnig außergewöhnliche Sachen, noch rastet meine Phantasie so aus, dass es irgendwie besonders wäre.
Aber mal ehrlich. Guckt euch nochmal den alten Blog (s. Blogroll) an. Anna in Wroclaw. Das war gut. Und nicht sonderlich besonders. Oder glaubt ihr, Polen ist so interessant und meine Gedanken und Erlebnisse seien so richtig einmalig?
Das ist Quark. Deutschland kennt ihr zwar schon und ich mache auch keine Luftsprünge, wenn ich im Obstladen korrekt verstanden werde, aber ich vermute, schreiben über Erleben kann ich überall. Und das mache ich jetzt. Zwischendurch dichte ich auch ein bisschen und sag Sachen auf Bühnen, das lasse ich euch weiterhin wissen.

 

Dichten! Wie aus der Pistole!

Dichten! Wie aus der Pistole!

 

Link

Termine! Termine! Eine Lesung!

Noch ein Event!

Im Rahmen einer Ausstellung der Jungen Akademie der Künste der Welt, die ich mit anderen Mitgliedern in der Baustelle Kalk vom 27.03. – 03.04.2014 dort veranstalte, wird es an einem Abend eine Lesung von mir geben.

Ming Stadt: Rheinreime und Sprachschnappschüsse

Et jitt kei Wood, dat sage künnt, wat ich föhl, wenn ich an Kölle denk! Oder doch?

Anna Kozikowski, Südstadtkind, Poetry Slammerin und Gründungsmitglied der Jungen Akademie der Welt, slammt und erzählt von ihrem Köln: Gedichte über die ruppige Elefantenhaut der Stadt nach durchzechten Nächten, Erzählungen vom Zahnlückenlächeln an der Bahnhaltestelle, Momentaufnahmen von Begegnungen mit der Stadt und ihren BewohnerInnen. Ein sprachlicher Stadtspaziergang durch die Veedel von Köln.

 Lesung, 1. April 2014, 19.30 Uhr, Baustelle Kalk

Schaut bitte doch auch bei unseren anderen Events vorbei, es gibt Tanzperformences und Konzerte!

https://www.facebook.com/events/706494092735262/

Termine, Termine

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Termine, Termine

Termine, Termine – ich wollte euch doch auf dem Laufenden halten, wann was und so.
Dank dreimonatiger Internetabstinenz ist mir das bis jetzt noch nicht gelungen. Pardon dafür. Ich könnte das mit einem Prost auf das Leben im LaFe im Belgische Viertel in Köln am 20.03. wieder gut machen, hm? Ich stehe mal wieder auf einer Bühne und sage Sachen. Wird gut, vermute ich.
Kommt und klatscht kräftig!

Jedem Anfang wohnt ein Ende inne

Normalerweise sind wenigsten Anfänge gut. Laienhafte Hobby – und Amateur-Schreiberlinge wie ich haben Schubladen voller phantastischer Anfänge zuhause, geschützt vor jeden Kritikeraugen. Romanhelden und ausgetüfftelte Plots geben sich da die Kante.

Bei mir liegt da auch was mit Bestsellerpotential. Eine Biographie: Kants Tante, die ich mal kannte.

Nein. Das war gelogen und ein Beweis dafür, dass Anfänge nicht immer besser sind als das, was kommt. Meine Anfänge sind meistens ganz schön blöde. Anfängerglück ist Zufall und nicht Glückseligkeit, lies Aristoteles, dann weißt du Bescheid. Der Reim macht den Anfang nicht besser.

Wie lang ist ein Anfang ein Anfang? Wann der Beginn von etwas? Ist ja auch egal. Oft wünsche ich mir, der Anfang wäre nie da gewesen.

Letztens. Ich stehe an der Kasse eines beliebigen deutschen Supermarkts. Es ist so diese Zeit, in der die Langweile dich auf die dunkle Seite der Macht zieht. Da lauern normalerweise Kekse, an der Supermarktkasse allerdings in Form von Kaugummi. Vielleicht ist das der Moment, in dem ich die Schuld an dem, was folgt, der Kaugummi-Industrie in die Schuhe schieben sollte. Ist doch bescheuert, dass jede Marke ihren Beißspaß in XXL-Boxen packt.
Die bewusste Käuferin vergleicht. Ich nehme also die erste XXL-Box in die Hand. Airwaves. Mit dem Finger fahre ich über den Verschluss. Fühlt sich gut an. Ich schüttele. Guter Sound. Die können was.
Wie ist es mit Orbit? Hab dich nicht so, Pani A, schnapp sie dir, pack sie an – aber haptisch interessierte mich das plötzlich gar nicht mehr so. Der Klang hatte mich gepackt. Wie klingen Kaugummis in ungekautem Zustand? Hatte das schon jemand erforscht?
Hibbelig nehme ich die nächste Dose, schaue gar nicht mehr aufs Etikett. Ich schließe die Augen, so kann ich mich ganz auf das Rasseln konzentrieren.
Wahnsinnig schüttele ich mich durch die Kaugummiboxen. Die anstehende Schlange drängt von hinten, ich lasse sie vorüberziehen. Nichts kann mich und mein Kaugummiklangexperiment aufhalten.
Da stehst du plötzlich vor mir und zupfst an meinem Hosenbein.
„Machst’n da?“
Mein Schüttelarm sinkt, Ruhe kehrt ein, wir gucken uns an. Dein Mund strotzt schokovermiert. Schöne Schnute. Intuitiv greife ich zu Zahnpflegekaugummis.
„Was machst denn du“, korrigiere ich und schäme mich. Ich hätte Klugscheißerkaugummis in beiden Nasenlöchern verdient.
„Hä?“, dein Gesicht ist ein schokoladiges Fragezeichen.
„Es heißt: Was machst denn du. Oder, was machst du da“, eine klügere Antwort wäre gewesen: „Is‘ egal.“, aber so habe ich mir das „Du bis‘ ja voll blöd!“ meines kleinen Schokokollegen verdient.
Mein „Hier! Nimm Extra, die sind soundmäßig unübertroffen!“ hat er zum Glück nicht gehört.

Bei der ersten Kaugummibox hätte ich aufhören sollen.
„Pani A, nein – so was machen wir nicht!“, und die erste Person Plural wäre angemessen gewesen. Manchmal braucht es mehrere, um zu erkennen, was richtig und was falsch ist.
Und dieses Klugscheißen? Wann hat das angefangen?
Evolutionsmäßig kann das ja wohl keinen sonderlichen Nutzen haben. Stopft keine ökologische Nische, macht nur unsympathisch.

Eigentlich sind Anfänge furchtbar. Enden kann man selten versauen. Entweder es gibt ein Happy End, was Versautes oder ein versautes Happy End. Easy.
Aber Anfänge. Die rühmen sich so ekelhaft mit ihrer Vermeintlichkeit. Vermeintlich ist alles möglich. Nix entschieden, Ende offen.

Und die 3-Sekunden-Regel?
Essen, was auf den Boden gefallen ist, kannst du ruhig essen. Das gleiche gilt für Leute. Die, die du nach 3 Sekunden noch nicht gefressen hast, findest du danach auch nicht zum kotzen. Wünschenswerterweise. Der Beginn einer wunderbaren Freundschaft.

Ob ihr euch mit diesem neuen Blog anfreunden werdet, weiß ich nicht. Aber es interessiert mich. Ich bin noch nicht am Ende. Obwohl auch jedem Ende ein Anfang innewohnt.

 

Horror vacui

Horror vacui

Schnappkuss.

 

Warum Polen?

Irgendwie lernen wir uns kennen, es ist laut und stickig und die Standartfragen werden abgecheckt. Wie heißt du? Wie alt bist du? Was studierst du? Hast du direkt nach dem Abi angefangen zu studieren?
Nein. Habe ich nicht. Ich war in Polen für einen Freiwilligendienst. Findest du wohl lustig.

„Warum Polen?!“,
fragst du unverhohlen,
lachst mich fast aus dabei.

Ich denk‘ mir,
wach‘ doch auf, du Ei
im Kartoffelsalat mit ranziger Mayonnaise

Polen ist geil. Weil:
Bier, Pierogi, Wodka,
dem Wort „spoko“,
das heißt, bleib‘ mal locker.
Die fall’n da vom Hocker,
wenn sie hören, wie du ihre Sprache sprichst,
obwohl du dir eigentlich peinlich ein’n abbrichst.
Gut, niemand lacht direkt in dein Gesicht –
Freundlichkeit ist oft subtil
ich nenne sie subtilophil.
Außer bei der Gastfreundschaft:
Aus lockerer Bekanntschaft
wird treue Gastliebe
bedingungslos
aussichtslos,
dass dein „Nein“ akzeptiert wird
bei Hering, Barszcz und Bigos
Zurek, Placki, Kluski –
klar, du musst nie
aber du wirst horizontal angesehen
als hättest du ein ernsthaftes Problem
wie schon kurz vor Intensivstation.
Also iss! Und trink!
Mein Kind, mein Blümchen, mein Sönnchen.
Wer hier die Republik ausrief
ernannte den Diminutiv
als beste aller Formen
sei am Besten konform mit allen Normen
sei katholisch!
Oder lehn dich auf.
Diabolisch!
Aber nimm in Kauf
enterbt zu werden
nach dem Sterben
in der Hölle zu schmoren.
Du findest das Konzept Kirche unausgegoren?
Veraltet, überholt, antiquiert – Geschichte?
Klar, dass DU das sagen musst,
du kennst das nicht: Realexistierenden Sozialismus
hast vergessen, dass es da was gab
Religionsfesseln statt Freiheit
Karten für Essen machen nicht satt
aber in diesem Land – Gott sei Dank –
gab es jeden Tag ungefragt Rückhalt vom Karol, eurem Papst.
Nicht für dich, aber für deine Eltern.
Deswegen muss auch für die gelten:
Sonntags ist Beichte und Kirche ein Muss.
Aber klar: Du hast echt keine Böcke
auf die Stöcke
in den Ärschen,
die den Leuten bei den Märschen
zum Altar wachsen.
Hältst das Muss für ein‘ Spasmus
ein Spasmus ein Spasmus ein Spasmus
Spaß muss sein
also tanz, tanz verranzt in der Kellerbar
frag‘ nicht, wer schneller war
Herz oder Kopf
Kopf oder Zahl
hast eh keine Wahl
also trink
trink, aber bis zum Abwinken
vorher wirst du eh versinken.
Also wird trinkfester,
hör auf zu lästern
über die, die zu Discopolo tanzen
tanz, trink und sing mit
„Ja uwielbiam ja, ona tu jest i tanczy dla mnie!“
anders lernst du Polnisch eh nie.
Polnisch heißt tanzen, trinken und singen
und Himbermassen am Straßenrand
von Babcia gepflückt – aus erster Hand.
Heißt Käsekuchen und Schmalz
Polen, du bist mein Salz
in meiner Erfahrungssuppe.
Du bist das Runde in meiner Lebenskuppel –
kocham cie.
Das ist Kitsch,
aber hey – Polen, das ist okay für dich,
das weiß ich.

Ach, und du, Kartoffelsalatei?
Wie sieht’s aus, Polen, Semesterferien –
biste dabei?