Der Boomerang

Was ist los?“, fragst du, worauf ich wieder keine Antwort weiß. Es ist nicht so, dass ich dir irgendwas verheimlichen wollen würde. Ich weiß es wirklich nicht. Es ist doch immer irgendwas los. Guck dich doch um. Aber das macht müde, dieses Umgucken. Und andererseits macht es unfassbar wach, wenn wir zulassen, was wir sehen.

Wenn ich jetzt darüber nachdenke, will ich lossprudeln und dir alles erzählen. Es braust in meiner Brust auf. Ich denke, das ist ein Gefühl. Was Gutes, was verdammt Gutes, aber wenn ich die Worte dafür finden soll, ist das nicht genug. Ich bin voller schöner Bilder. Die sind los und lassen mich nicht los.

Pani A Juli 1Heute hat es viel geregnet. Zwischendurch schien die Sonne heiß durch die Straßen. Auf einem kleinen Mäuerchen sitzt eine Frau mit geschlossenen Augen. Sie sieht ernst aus, aber auch glücklich. In ihrer Hand hält sie ein Eishörnchen. Das schmelzende Eis läuft ihre Hand herab. Irgendetwas an diesem Bild macht mich sehr traurig und dann wieder froh. Wahrscheinlich sind das diese geschlossenen Lider, diese Genießende, die sich um nichts kümmert als darum, dass endlich einmal die Sonne scheint. Währenddessen zerrinnt ihr Eis. Das, was sie sich gönnen wollte, zerfließt. Die Genüsse kollidieren.

Ich denke an eine Frau, die ich heute gesehen habe. Ich weiß nicht, warum sie mir jetzt wieder einfällt. Es war eigentlich nichts Besonderes.“ –

Und doch erinnerst du dich an sie. Was war mit ihr?“

Nichts. Es war nichts mit ihr. Sie saß in der Sonne und ihr Eis ist geschmolzen. Das wars schon.“

Und dann hast du sie darauf aufmerksam gemacht?“

Wir haben nicht geredet. Ich habe sie mir angesehen, als würde sie im Museum hängen. So was macht man nicht, oder?“

Na ja, also… Du hast ihr nicht gesagt, dass ihr Eis abschmiert?“

Ich habe gar nichts gesagt, sagte ich doch. Meinst du, ich habe sie gestört? Ich stand einfach da und habe ihr zugesehen. Es ist bescheuert. Ich komme mir jetzt vor wie ein Eindringling.“

Hättest du sie mal gestört. Bestimmt hatte sie später überall Eisflecken.“

Als ich mit dem Fahrrad durch den Park fuhr, sah ich einen Jungen, wie er vor einer Taube saß. Im Schneidersitz hat er vor dem Vogel gesessen und ihm etwas gesagt. Es sah aus wie ein Diktat. So als sagte der Junge zur Taube, es wäre nun angemessen, das ständige Herumscheißen zu unterlassen und sich wie ein manierlicher Vogel zu benehmen. Das solle sie sich merken, die Taube.

Du denkst doch wieder irgendwas.“

Natürlich denke ich. Kannst du das etwa abschalten?“

Manchmal wünsche ich mir das. Leider ist das unmöglich. Manche Menschen können das sicherlich. Wenn ich mir diese Stadt so angucke, vermute ich, in der Abteilung Stadtplanung arbeiten da so manche Blitzbirnen mit dieser herrlichen Eigenschaft…“

Mmmh. Furchtbare Radwege. Du hast recht. Meinst du, dass es irgendwelche Tiere gibt, die verstehen, was wir zu ihnen sagen?“

Wie kommst du denn jetzt darauf?“

Das war mein Gedanke von eben.“

Interessant. Ich glaube, eher nicht.“

Meinst du, wenn Kinder mit ihnen reden, ist die Chance größer?“

Das… hm. Wie kommst du drauf?“

Ach. Sie machen zumindest den Eindruck, als gäben sie sich mehr Mühe verständlich zu sein. Erwachsene mühen sie eher für das Gegenteil ab. Findest du nicht?“

Manchmal gucke ich mich um. Doch, doch. Aber ich verstehe wenig. Ich habe Fragen an das, was ich sehe. Die meisten Fragen sind aber eher ein Boomerang und fliegen zurück an mich. Manchmal frage ich mich, warum ich mich das frage und mich nicht für die Klausur in 15 Tagen vorbereite. Die Deadlinejunkies unter uns lachen über 15 Tage. Was wieder einige Fragen aufwirft.

Es ist nichts passiert, aber davon viel.

Es ist Donnerstag. Das ist mein voller Unitag. Ich schreibe aus einem SWD-Hauptseminar. SWD steht für Sprachwissenschaft. In Köln bedeutet das: Wenig Sprache, viel Wissenschaft. Um nicht zu sagen: Naturwissenschaft. Das ist gleichbedeutend mit: Ich muss mir wirklich heftig in den Allerwertesten treten, um nicht einzuschlafen. Ich mag es, wie Wörter klingen, wie man mit der Sprache basteln kann und wenn wir Memory und Puzzle damit spielen. Aber ich finde es eine Frechheit, Sprache auseinander zu rupfen und so zu tun, als wären Wörter mathematische Formeln, die kalkulierbar irgendwelche (chemischen? physikalischen?) Reaktionen im Gehirn hervorrufen. Bei mir rufen solche Unternehmungen meist Gähnen hervor, nichts weiter.
Da bin ich also. Ich gähne, gucke mir irgendwelche stummen Videos an und schreibe Tagebuch. Großartiger Lernerfolg. Nun. Dazu kommt furchtbarer Hunger. Sowohl meine liebevollst befüllte Butterbrotsdose und mein Portemonnaie mit Notgroschen für harte Hungerzeiten liegen zuhause. Wo habe ich meinen Kopf. Als wäre ich hier diejenige, die heute Abend so ein beklopptes EM-Spiel spielen müsste. Muss ich nicht, ich muss nur zugucken. Es kommen Leute, das ist nett. Jemand bringt einen Beamer mit. Wir haben eine hübsche weiße Wohnzimmerwand zum Gucken. Der Rest ist seit zwei Jahren nicht fertig gestrichen worden, aber diese Wand – nein, also die kann sich wirklich sehen lassen. Unsere Sofas stehen in einem guten Sichtwinkel. Es gibt Sekt zum anstoßen, Kölsch für währenddessen und Szarlotka zum Genießen. Szarlotka ist ein polnischer Apfelkuchen. Oder aber ein Getränk mit Apfelsaft und Bisongraswodka. Entscheide selbst. Wir verteilen die Nationalspieler. Ich habe Draxler. Wird er erwähnt, trinke ich. Bei Löw und Gomez trinken alle. Der wird öfter erwähnt als Neuer, dabei steht er bisher nicht mal auf dem Platz. Ist mir aber auch egal alles ziemlich. Menschen fragen, für welche Mannschaft ich bin. Ist mir auch egal. Nun. Langweiliges Spiel. Danach kommt Marc-Uwe Klings Lesebühne. Es geht um Ernährung. Wir kichern. N Sekt vielleicht? N ist die Anzahl der Sektgläser, die wir trinken. Die Nacht ruft. Die Straße, die Stadt. Hullahu, hier sind wir, rufe ich zurück. Ich ziehe mich kurz um. Das, was ich anhabe, ist lang: Ein abgefahrener Satin-Jumpsuit in Mintgrün mit Tropicalmuster. Darüber die treuePani A Juliste Feierjacke: Ein Hoodie in der Männergröße L von Aldi mit dem Aufdruck „1954“. Ich habe diese Jacke seit ich 12 bin. Sie kommt immer mit, weil ich denke, ist eh wurscht, wenn die geklaut wird. Offenbar ist sie so wurschtig, dass sie niemand klauen will. „Das Ganze führt mit dem Überstreifen directemente zu guter Laune – bei mir und bei anderen. Ich bin eine verdammte Knospe im Modeblumentopf!“, werde ich später in mein Tagebuch schreiben. Übermut lallt aus mir. Ungeschminkt bis auf eine dünne Schicht pflaumenfarbener Lippenstift von Catrice, der irgendwie nach der Bad-Taste-Party zu meinem 18. Geburtstag bei mir gelandet ist.
Da sind wir also. Noch stehen wir davor, gehen wir also rein. Eigentlich kann ich wirklich wenig mit Bumm-Tschack-Musik anfangen, aber mein Zustand weiß diese Tatsache zu ignorieren. Alle heben leicht ihren Oberkörper, wippen mit dem Kopf, viel mehr bewegt sich nicht. Meine Beine machen sternförmige Schrittfolgen, meine Arme boxen seitlich in die Luft. Eine dezente Tänzerin bin ich nicht.
Kiosk, Tyskie, Leute sprechen uns an. Ein Designer lobt mein Outfit. Er ist auch Philosoph, sagt er. Wie Karl Lagerfeld sieht er nicht aus. Mein Tipp: Er ist (Über-)Lebenskünstler mit verqueren Ansichten über Sexualität. Das tippe ich nicht, das beweist er. Das Gespräch ist aufgeheizt, aber auf die stickige Art. Also raus aus der Aggressivität. Gehen wir lieber zu jemandem, der aussieht, wie Marc-Uwe, aber eigentlich Komponist ist und kein Känguru bei sich aufgenommen hat sondern – ich weiß absolut nicht, was der Inhalt dieses Gesprächs ist. Das Komponieren, das Über-die-Runden-Kommen? Ach, ach. Gespräche mit Fremden führen so oft dazu, dass man weiß, was derjenige oder diejenige studiert oder arbeitet, aber man überhaupt keine Ahnung hat, was der andere denkt, worüber er oder sie sich Gedanken macht, warum bestimmte Entscheidungen so oder so gefällt wurden, der ganze Irrsinn. Raus aus der Gesprächssituation, wir lassen Revue passieren, wie der Abend bisher so gelaufen ist. Eigentlich ist heute noch nichts passiert, aber davon viel.